Langsam, aber sicher (?) verändert sich das literatur- und kulturwissenschaftliche Bild des Zweiten Kaiserreichs, das seit den 60er Jahren zumindest in der Germanistik einigermaßen stabil gewesen ist. Seit etwa Walter Jens in einem knappen, aber scharfen Artikel moniert hat, daß während der 50er Jahre auch an zentralen Orten des wissenschaftlichen Verkehrs das national-konservative Programm noch ziemlich arglos fortgeschrieben werde, wird in unseren Literaturgeschichten ein Bild von der Kultur der Kaiserzeit gepflegt, wie es paradigmatisch etwa in Heinrich Manns „Untertan“ entworfen worden ist. Büchertitel wie „Vordenker des Nationalsozialismus im 19. Jahrhundert“ oder „Der Mann, der Hitler die Ideen gab“ signalisieren – trotz vereinzelten Einsprüchen – schlagwortartig die Perspektive, unter der (bei mancher Sperrigkeit des Materials) dieses Bild von der Kaiserzeit als einer fatalen Epoche der deutschen Geschichte ins Blickfeld des kulturgeschichtlichen Interesses rückt: sie erscheint im Schlagschatten, den das Dritte Reich in die deutsche Geschichte zurückwirft. Entweder wird die Literatur – ausdrücklich oder stillschweigend – unter diesem Blickwinkel analysiert oder sie erscheint in einem merkwürdig blassen Licht, wenn es etwa darum geht, Autoren wie Hesse, Kafka oder Rilke epochenspezifisch zu verorten; sie wirken – da sie nur schwer in diesem Bild unterzubringen sind – eigenartig hintergrundlos. So hat denn die germanistische Literaturwissenschaft – jenseits von Einzelstudien – bislang noch nicht allzuviel zu einem differenzierten Bild von der Kultur des Zweiten Deutschen Kaiserreichs beigesteuert; Literarhistoriker müssen sich – mit den bekannten Folgen – an allgemeinhistorische Darstellungen der Epoche halten.
DOI: | https://doi.org/10.37307/j.1868-7806.1999.04.13 |
Lizenz: | ESV-Lizenz |
ISSN: | 1868-7806 |
Ausgabe / Jahr: | 4 / 1999 |
Veröffentlicht: | 1999-10-01 |
Seiten 614 - 618
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