DOI: | https://doi.org/10.37307/j.1868-7806.2013.04 |
Lizenz: | ESV-Lizenz |
ISSN: | 1868-7806 |
Ausgabe / Jahr: | 4 / 2013 |
Veröffentlicht: | 2013-12-18 |
Der Beitrag untersucht die Erzählwendung ,Es war ihm, als ob‘ und schlägt vor, sie als ,erlebten Vergleich‘ zu begreifen. Hierzu wird zunächst in systematischer Perspektive das Funktionieren der Wendung grammatisch und rhetorisch als ein spezifischer Vergleich analysiert, der zwischen Erzählstimme und Figur changiert und der erlaubt, das Erleben der Figur punktuell als eine imaginäre Szene zu fassen. In historischer Perspektive wird dann der massive Einsatz dieser Wendung in der Literatur seit Ende des 18. Jahrhunderts (Moritz, Goethe, Kleist, Büchner etc.) diskurshistorisch mit der Etablierung der Kategorie des „Gefühls“ bzw. des „Selbstgefühls“ (Tetens) in Verbindung gebracht. Das Ende der Wendung im 20. Jahrhundert folgt unvermittelt auf eine zweite Hochkonjunktur um 1900. An Hand von Texten Robert Musils wird die hochfrequente Verwendung (Törleß, Vereinigungen) und das Ende (Der Mann ohne Eigenschaften) des „erlebten Vergleichs“ vergleichend erörtert.
Der Beitrag liest Karl Philipp Moritz’ Aufsatz „Die Signatur des Schönen. In wie fern Kunstwerke beschrieben werden können“ (1788/89) als Grundsatzreflexion über philologisches Arbeiten und Schreiben. Philologie bedeutet für Moritz Freundschaft zur Sprache und zur Schrift. Biographische (Goethe) und autobiographische („Anton Reiser“) Textzeugnisse belegen, dass für Moritz diese Freundschaft durch Missverständnisse und Fehlleistungen geprägt ist. Daher muss der Philologe seinen Gegenstand im entscheidenden Punkt verfehlen, um diesen ganz wirken zu lassen. Moritz’ radikale Nacherzählung des Philomele-Mythos bei Ovid liefert dafür ein eindrückliches Beispiel.
Der Beitrag unternimmt eine Neulektüre der enigmatischen Marionszene in Georg Büchners „Dantons Tod“. Verfolgt werden drei miteinander verwobene Fragestellungen, nämlich erstens nach dem kontinuierlichen Wechsel von Erotik und Politik, zweitens nach dem Verhältnis von Dialog und Narration, das durch den ungewöhnlich ausgedehnten Monolog im Zentrum der Szene zur Disposition gestellt wird, und drittens nach der Begegnung der Geschlechter, die vor dem Hintergrund der liebessemantischen Konstellationen der Frühromantik zugleich inszeniert und auf Sinnlichkeit zugespitzt wird. Die komprimierte Szene erscheint so als Kulminationspunkt, an dem sich verschiedene Stränge des Dramas bündeln.
Vor dem Hintergrund aktueller Forschung zu Erinnerung und Gedächtnis arbeitet dieser Aufsatz die weithin unbekannte Geschichte der Erinnerung an die antinapoleonischen Kriege (1813–1815) in Romanen und Novellen aus der Restaurationszeit und dem Vormärz auf. Nach einem kontextualisierenden Aufriss zur Entstehungsgeschichte des Mythos’ vom Befreiungskrieg und zur Geschichtspolitik im historiographischen Schrifttum (bis hin zum 50. Jahrestag 1863) beginnt die Analyse der literarischen Erinnerungsarbeit mit einem Überblick über die Zeitromane der Befreiungskriege und ihrer ganz unterschiedlichen Geschichtsnarrative. Neben liberal- nationalen und patriotisch-biedermeierlichen Modellierungen stehen katastrophische Narrative traumatischer Geschichtserfahrung, die an Carl Bondes Erzählung „Die Königs-Scheibe“ (1820) exemplifiziert werden. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen dann die gedächtnispoetische Verarbeitung autobiographischer Kriegserfahrung in Willibald Alexis’ erster Novelle „Iblou“ (1823/30) sowie der Übergang zum historischen Roman in Ferdinand Stolles „1813“ (1834) und Alexander von Ungern-Sternbergs „Jena und Leipzig“ (1844). Die in sich mehrstimmigen Texte von Alexis, Stolle und Ungern-Sternberg leisten aufschlussreiche Beiträge zur Geschichte des geschichtspolitischen „Kampfes um das richtige Gedächtnis“ (Winkler), bevor am Ende der 1850er Jahre im Gefolge des Nationalliberalismus eine neue Welle historischer Romane zum Thema einsetzt, in denen der Mythos vom ‚Volksaufstand‘ 1813 und die Antizipation nationaler Einheit ins Zentrum rücken.
Im Kontext seines Passagen-Projekts deutet Walter Benjamin Illustrationen aus Grandvilles „Un autre monde“ (1844), darunter vor allem „Le pont des planètes“, als Beleg für das Ausgreifen von Technik und Mode (Ware) auf den Himmelsraum. Dieses Motiv erfährt eine markante literarische Ausprägung in Villiers de l’Isle- Adams satirisch-phantastischer Erzählung „L’Affichage céleste“ (1873), in der sich die Warenwelt den Sternenhimmel zu Reklamezwecken dienstbar macht. Der Aufsatz schließt mit einem Blick auf das 20. Jahrhundert: Eine von Italo Calvinos Marcovaldo- Geschichten beschreibt die Verdrängung von Mond und Sternen durch die Leuchtreklame, während vom Surrealismus beeinflusste Texte (Benjamin, Leiris) einen traumartig verwandelten Himmel thematisieren.
Der Aufsatz untersucht Ernst Jüngers „Annäherungen“ als Teil der europäischen Drogenliteratur und als Resultat sowohl einer Interaktion mit befreundeten Wissenschaftlern wie dem Orientalisten Rudolf Gelpke, dem Chemiker Albert Hofmann und dem Religionswissenschaftler Mircea Eliade, als auch mit der deutschen Drogenforschung der Zwischenkriegszeit, insbesondere mit den Meskalinversuchen des Psychiaters Kurt Beringer. Den von Jünger favorisierten Umgang mit seinen wissenschaftlichen Quellen verdeutlicht ein Vergleich mit der Drogenliteratur seines Kollegen und Konkurrenten Gottfried Benn, der sich Anfang der 1950er Jahre weigert, dem mit Drogen experimentierenden Männerbund Jüngers beizutreten.
„Nihil novi sub sole“, es gibt nichts Neues unter der Sonne, verkündet desillusionierend der Prediger Salomo (Pred. 1,9) und vergißt dabei abschließend auch nicht, auf die endlose Nichtigkeit des vielen Büchermachens hinzuweisen (Pred. 12,12). Dem setzt die von Christian Meierhofer vorgelegte Bremer Dissertation in ihrem Titel pointiert entgegen „Alles neu unter der Sonne“, eine Position, die ihre Legitimation aus der Freisetzung allseitig interessierter menschlicher curiositas aus einer verpflichtenden theologischen und moraldidaktischen Blicklenkung gewinnt.
Die Zeit „um 1800“ galt der deutschen Kultur- und Literaturgeschichtsschreibung der (vor-)letzten Jahrzehnte als beinahe selbstverständliche Geburtsstunde der Modernität und damit oft genug auch der Legitimität ihrer Gegenstände wie Fragestellungen gleichermaßen. Seit mehreren Jahren bringt die Forschung zur Literatur der Frühen Neuzeit dieses Bild in immer neuen Anläufen ins Wanken. Einen wichtigen Fluchtpunkt des in Frage stehenden Umbruchs bildet zweifellos ein differenzierteres Bild der europäischen Säkularisierung, deren erste Umrisse unzählige neuere Arbeiten bereits im 17. Jahrhundert erblicken. Dabei mag es durchaus die seit der Jahrtausendwende tendenzielle Aktualität des schwierigen Verhältnisses von Politik und Religion gewesen sein, die einer neuen Betrachtung insbesondere der barocken Dramatik an Schwung verlieh.
Auch wenn Hamilton die Verbindung von Musik und Wahnsinn als „transkulturelles, transhistorisches Phänomen“ festmacht, konzentriert sich sein Close Reading auf Diderots Dialog „Le neveu de Rameau“, der über die Hälfte der Monographie einnimmt, und auf dessen Rezeption in der deutschen (Früh-) Romantik. Einerseits sieht der Autor einen Zusammenhang zwischen dem furor poeticus und der Bindung der Musik an das Wort im 18. Jahrhundert, zwischen dem Unmittelbarkeitstopos der Musik und dem Wahnsinn, den er nicht einfach als Metapher, sondern auf der Grundlage von Foucaults „Histoire de la folie“ (1961) diskurgeschichtlich präzis einordnet.
Mit diesem Band wird eine gewichtige wissenschaftliche Leistung vollendet – der Versuch, die Geschichte von Heines Wirkung in den deutschsprachigen Ländern kontinuierlich zu entfalten und anhand von zahlreichen sehr unterschiedlichen, zuweilen schwer aufzuspürenden Texten zu dokumentieren. Im vorliegenden Band werden neben einer zweihundertseitigen Einleitung 143 Texte meist auszugsweise dargeboten, jeweils mit Anmerkungen und Kurzbiografie des Autors. Das Spektrum an Textsorten reicht von wissenschaftlichen Stellungnahmen und Kommentaren zum Forschungsstand über Festreden und Preisempfängervorträge bis hin zu lyrischen Gedichten, die u.a. von Helga M. Novak, Rolf Dieter Brinkmann, Franz Mon, Günter Kunert, Wolf Biermann, Robert Gernhardt, Harald Gerlach und Peter Hacks stammen. Einige der lesenswertesten Beiträge entziehen sich jedem Klassifikationsversuch, so z.B. das von Hilde Domin durchgeführte ,Interview‘ mit Heine, dessen Repliken aus klug gewählten Zitaten, meist aus seinen späteren Prosawerken, bestehen.
Heiner Müller war und ist als bedeutender deutscher Dramatiker des zwanzigsten Jahrhunderts bekannt, d.h. also: bekannt für seine Theaterstücke. Spätestens seit seinem Tod 1995 allerdings geraten auch andere Gattungen und Texte dieses Autors in den Blick der Literaturwissenschaft. Geradezu ein Paukenschlag war die Wahrnehmung der Quantität und Qualität von Müllers lyrischem Werk, die sich trotz einiger bisheriger Untersuchungen jedoch weder allgemein durchgesetzt hat noch abgeschlossen ist. Dann wurden Müllers an mediale Performances grenzende Interviews gewürdigt und schließlich seine essayistischen Schriften.
Bereits Ernst Robert Curtius hat darauf hingewiesen, dass die rhetorische Tradition bei Goethe durchgängig vorausgesetzt werden muss. Dennoch scheint es in der Goethe-Forschung noch immer das Missverständnis zu geben, Goethe habe ein rein negatives Verhältnis zur Rhetorik gehabt, d.h. die Rhetorik spiele folglich keine Rolle für ihn. Um dieses Missverständnis auszuräumen, hat Olaf Kramer nun der Erforschung von Goethes Rezeption und Adaption der Rhetorik eine umfassende, systematisch angelegte Studie gewidmet. Für eine solche Studie spricht nicht zuletzt, dass die bisherige Forschung zu diesem wichtigen Thema immer noch als lückenhaft bezeichnet werden muss. Kramer legt seine Studie weitgehend chronologisch an und durchläuft alle wichtigen Schaffensphasen Goethes, um zu zeigen, dass die Rezeption nicht punktuell, sondern kontinuierlich und dabei variantenreich erfolgte. Nicht zuletzt beweist das Beispiel Goethe auch, dass die Rhetorik im späten 18. Jahrhundert keineswegs aufhörte zu existieren.
Die Ausgabe 20/2012 des Hamburger Wochenblattes „Die Zeit“ brachte eine kleine Stilkunde als Beilage. Unter den Schriftstellern, die dort als stilistische Vorbilder angeführt werden, befinden sich mit Heine und Nietzsche einige der bekanntesten Polemiker deutscher Sprache. Der Verdacht drängt sich auf, es bestehe ein mehr als nur zufälliger Zusammenhang zwischen literarischem und dezidiert polemischem Schreiben. Umso verwunderter nimmt man zur Kenntnis, dass diese Thematik in der literaturwissenschaftlichen Forschung nach wie vor keine besondere Beachtung genießt, auch wenn sie in einer Reihe von Arbeiten immer wieder durchscheinen mag. Schon aus diesem Grund verdienstvoll ist die 2010 veröffentlichte Studie von Andreas Stuhlmann, die auf eine Hamburger Dissertation von 2005 zurückgeht und bereits in ihrem Titel auf diesen Zusammenhang aufmerksam macht.
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